Rechtsterrorismus als Unterrichtsthema? – Oder doch besser Demokratie- und Menschenrechtsbildung?

Von Dr. Daniel Trepsdorf, Stadtvertreter der Partei DIE LINKE und Vorsitzender des Kulturausschusses in der Stadtvertretung der Landeshauptstadt Schwerin

Beides ist wichtig, um aus Jugendlichen kritische und emanzipierte Bürger*innen zu machen.

Rechtsextremismus nach dem II. Weltkrieg und die demokratiezersetzenden Einflüsse neofaschistischer Gruppen kommen im Unterricht der Bundesländer bis auf wenige Ausnahmen zu kurz. Zudem hat eine repräsentative Forsa-Umfrage der Körber-Stiftung im Sommer 2017 ergeben hat, dass lediglich 59 Prozent der Schülerinnen und Schüler (Alter >14 Jahre) wussten, dass Auschwitz-Birkenau ein Konzentrations- und Vernichtungslager gewesen war. Von den Schülerinnen und Schülern über 17 Jahren haben dies nur 71 Prozent gewusst. – Aber auch persönlichkeitsbildende Unterrichtsinhalte wie die Rahmenbedingungen einer pluralistischen, ökonomisch-solidarischen, fairen als auch partizipationsorientiert ausgerichteten Demokratie, deren Fundament der Konsens von der Gleichwertigkeit und Würde des Menschen ist, fristen in deutschen Lehrplänen ein Schattendasein.

Dabei kommt Schule doch eine wichtige Funktion bei, indem sie vermittelt, dass Demokratie nicht lediglich eine Staatsform darstellt, sondern viel mehr eine „Sphäre gemeinsam geteilter Erfahrung im Alltag“ (John Dewey). Daniel Trepsdorf leitet das Demokratiezentrum Westmecklenburg und ist Demokratiepädagoge und Gemeinwesenberater der Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie in Mecklenburg-Vorpommern. Er schreibt, dass

„Demokratie dort entsteht, wo Menschen sich mit Wertschätzung begegnen, wo sie ohne Furcht vor Benachteiligung freie Entscheidungen treffen können. Demokratische Räume sind Lern- und Lebensräume, die die Bedürfnisse, Eigenarten und Rechte des Gegenübers im Blick behalten. Als demokratisch gelten ergo gesellschaftliche Beziehungsgefüge, bei denen Individuen selbstwirksam, emanzipiert und akzeptiert ― miteinander und füreinander ― Verantwortung übernehmen.“

Die Abwesenheit von Einschüchterung und Furcht im sozialen Miteinander, das Treffen freier Entscheidungen durch selbstbewusste und kritische Individuen, die Berücksichtigung der Bedürfnisse meines Gegenübers und die wechselseitige Verantwortungsübernahme: dies alles sind Dinge, die dem Menschen nicht in die Wiege gelegt werden. Man/Frau muss sie erlernen. Ohne Menschen mit wachem Bürgersinn, die nicht nur auf sich selbst, sondern auch auf andere achten, hat die Demokratie in der Berliner Republik einen schweren Stand. Im Interview [Auszug] geht Daniel Trepsdorf auf diese Zusammenhänge ein.

https://youtu.be/HmViVrPFskY

Hintergrundinformationen:

Wir verzeichnen eine bruchlose Kontinuität rechtsextremen Terrors, vor allem in der alten Bundesrepublik. Doch auch in der ehemaligen DDR haben sich neonazistische Jugendgruppen (vor allem unter Fußball-Hooligans) zusammengerauft, die sich durch ein hohes Maß an Gewaltbereitschaft und Militanz ausgezeichnet haben. Die „Sonderarbeitsgruppe zur Bekämpfung rechtsradikal motivierter Kriminalität und Selbstjustiz“ der Kriminalpolizei in Ost-Berlin erfasste in einer Statistik 1988/89 um die  1.000 gewaltbereite Rechtsextremisten und Kameradschaftsakteure, rechte Skinheads oder „Rowdys“ (organisierte Gruppen waren z.B.: die „Lichtenberger Front“, „Dynamo Hools Dresden“, die „Oranienburger“ oder „Ostkreuzler“). Im Jargon der Sicherheitskräfte tauchten indes auch Begriffe wie „negativ-dekadente Jugendliche“ oder „verwahrloste Randalierer“ auf.

In der BRD der 50er und 60er Jahre beriefen sich militante Alt- und Neonazis u.a. auf die Tradition der „Werwolf-Kommandos“, die der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, noch 1944 ins Leben gerufen hatte. Diese losen Guerilla-Gruppen sollten Angst und Schrecken durch Anschläge verbreiten, Lebensmittel vergiften, Sabotageakte und Attentate durchführen und damit die von den Alliierten besetzten Gebiete Deutschlands ins Chaos stürzen. – Einzelne Akteure des Troll-Netzwerkes „Reconquista Germanica“, der „Oldschool Society“ (Sachsen, Ausgehoben 2015) oder die Sympathisanten der faschistischen Terrorgruppe „Skinheads Sächsische Schweiz“ („SSS“, Verbot 2001) beriefen sich bei der Planung ihrer Aktionen auf die Werwolf-Kommandos.  

Dass rechtsextremer Terror nicht erst seit der Blutspur des NSU ein Thema ist, das zeigen folgende Gewalteskalationen in der mittleren und jüngeren Geschichte Deutschlands:

  • ab Mitte der 1970er baute der militante Antisemit Peter Naumann Bomben und Sprengfallen; 1979 sprengte er zusammen mit Komplizen zwei Fernsehsendemasten, um die Ausstrahlung der bevorstehenden Fernsehserie „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiß“ zu verhindern; es folgten gewalttätige Terroranschläge mit Rohrbomben;  
  • ca. seit den späten 1970ern ist Ekkehard Weil das Gesicht der rechtsradikalen „Aktion Widerstand“, die bundesweit Anschläge und Attentate plante;
  • die Hepp-Kexel-Gruppe, die von Odfried Hepp (seit 1979: Wiking-Jugend-Führer) geleitete Attentätergruppe plante und verübte seit den ausgehenden 1970ern sowie 1980ern Terroranschläge, Banküberfälle und professionelle Delikte im Kontext organisierter Kriminalität – Odfried Hepp und Walter Kexel hatten eine lange Sozialisation und Karriere in neonazistischen Gruppierungen hinter sich und konnten auf eine paramilitärische Ausbildung im Nahen Osten zurückgreifen;
  • im August 1980 sterben bei einem Brandanschlag der „Deutschen Aktionsgruppen“ (Manfred Roeder) in Hamburg Ngoc Nguyen und Anh Lan Do (Kontext bereits damals: heftige öffentliche Debatten und Ausschreitungen in Anbetracht des Grundrechts auf Asyl)
  • Ermordung von Rabbi Shlomo Lewin und dessen Lebensgefährtin Frida Poeschke (1980 in Erlangen);
  • extreme Gewalt verzeichnen die Sicherheitsbehörden bei Schießereien von Frank Schubert, selbst militantes Mitglied der „Volkssozialistische Bewegung Deutschlands / Partei der Arbeit“ (VSBD/PdA), im Oktober 1981 in München;
  • beim „Oktoberfestattentat“ wurden 12 Menschen ermordet und über 200 Personen  wurden verletzt (die Blut- und Indizienspur führt zu Karl-Heinz Hoffmann und Uwe Behrendt, Gründer der verbotenen „Wehrsportgruppe Hoffmann“ (1973-1980), diese zählt nach offiziellen Schätzungen 70 Aktivisten und 400 Sympathisanten;
  • der Rechtsextremist Heinz Lembke hortete überall in der BRD Waffendepots (1981),  er erhängte sich einen Tag vor geplanter Aussage und hinterlegte an seine Mitstreiter folgende Botschaft: „Kameraden, es ist Wolfszeit“;
  • auch rechte Netzwerke haben in der Terrorszene eine lange Tradition: ab 1979 unterstützte die erst seit 2011 verbotene „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige“ (HNG) gewalttätige sowie verurteilte Neonazis während ihrer Haftzeit und danach.

Laut der Forschungsergebnisse des Wissenschaftlers Daniel Köhler („German Institute on Radicalization and De-Radicalization Studies“) waren von den 70er Jahren bis Mitte 2019 von Rechtsradikalen 2.173 Brandanschläge verübt worden. Es handle sich um „Mindestzahlen“, sagte Köhler gegenüber der Tagesschau. Verdachtsfälle sowie die hohe Dunkelziffer seien nicht berücksichtigt worden. Zudem gab es 12 Entführungen, 174 bewaffnete Überfälle, 123 Sprengstoffanschläge. Seit 1963 hat Daniel Köhler 92 rechtsterroristische Gruppen und Einzelpersonen identifiziert. Je nach zugrundeliegender Zählweise verzeichnen die volatilen Statistiken über 350 Tote, die seit 1949 dem rechtsradikalen Terror in Deutschland zum Opfer gefallen sind, mehr als 150 Verdachtsfälle werden ausgewiesen.