Minister Caffier tritt wegen der Waffenaffäre zurück. Das ist konsequent, setzt aber hoffentlich dito ein Startzeichen für weitere Aufarbeitungsanstrengungen – es geht auch um die Kommunikationskultur eines Ministeriums gegenüber der Presse in einer

Vor drei Jahren sitzen die taz-Journalistin Christina Schmidt und Daniel Trepsdorf als Leiter des Demokratiezentrums Westmecklenburg zusammen in Ludwigslust bei einem Interview. Es ging fachlich um Neonazi-Netzwerke in MV sowie um die dadurch bestehende Gefährdung der demokratischen Kultur im ländlichen Raum, u. a. etwa durch Völkische Siedlungsstrukturen. Damals hatte die Generalbundesanwaltschaft mit Spezialkräften mehrere Häuser im nordöstlichsten Bundesland durchsucht. Die Razzien zielten auf Erhärtung des Verdachts auf eine schwere staatsgefährdende Straftat. Die Bedenken: Eine Gruppe waffenaffiner Prepper, die paramilitärische Übungen abhielt und deren Mitglieder sich teilweise aus ehemaligen Polizei- und Bundeswehrkräften rekrutierte, bereitet sich auf den Zusammenbruch der staatlichen Ordnung vor. Politische Gegenspieler aus dem linken und grünen Milieu sollen „beiseitegeschafft werden“. – Ein düsteres Déjà-vu meldet sich in der Magengrube des kritischen Zeitgenossen: Erleben wir erneut die Formation des Terrorismus von rechts im ländlichen Raum MVs. Und dies lediglich sechs Jahre nachdem sich Beate Zschäpe den sächsischen Behörden gestellt hatte? Wiederholt sich die Geschichte? Haben regionale Sicherheitsbehörden, die die Menschen und die FDGO hierzulande schützen sollen, die explosive Entwicklung im rechten Terrormilieu einmal mehr nicht auf dem Schirm gehabt?      

Sicherheitskräfte aus dem Ministerium von Lorenz Caffier waren weder in die detaillierte Einsatzplanung noch in die unmittelbare Durchführung des Zugriffs eingebunden gewesen. Der Minister und dessen Stab wurden lediglich kurz vor der Aktion von den ermittelnden Bundesstellen informiert. Dies legt den Verdacht nahe, dass man aufseiten des Generalbundesanwaltes sich gar nicht der Gefahr aussetzen wollte, durch mögliche undichte Stellen innerhalb des Ministeriums in MV die Razzia zu gefährden. Hatte man Sorge, dass ehemalige Polizeikräfte oder Militärs unter den Nordkreuz-Preppern gewissermaßen vor dem bevorstehenden Zugriff durch offizielle Stellen hätten gewarnt werden können?

Der unterstellte Korpsgeist mancher in der ministerialen Mitarbeiter*innenschaft, scheint sich indes bis in die Pressestelle zu ziehen. Seit 2017 fragen Christina Schmidt und ihre Pressekolleg*innen immer wieder detailliert und klar beim Ministerium zu Vorgängen rund um die Nordkreuz-Prepper nach. Indes, Lorenz Caffier und sein Ministerium äußern sich lediglich ungern zu den Vorgängen, die sich in Neonazi-Chatrooms oder in den weiten Wäldern MVs abspielen.

Die Gefährlichkeit rechter Akteure im Nordkreuz-Geflecht wird routiniert heruntergespielt, relativiert und marginalisiert. Bis heute ist unklar, wie es den Preppern um Marco G. gelingen konnte, mehr als  55.000 Schuss Munition aus Bundeswehr-Beständen und Polizeidienststellen zu entwenden. Auch scharfe Waffen kauft man in der Bundesrepublik nicht auf Wochenend-Flohmärkten.

Im alarmierenden Bezugsystem zwischen (1.) Nordkreuz-Waffen; (2.) rechten Schießtrainings auf dem Platz der „Baltic Shooters“ um Frank T.; (3.) dem Waffenerwerb durch den Minister im Frühjahr 2018 (wo den Behörden nachweislich verdächtige Verbindungen Frank T.s zu den Nordkreuzlern bereits aktenkundig gemacht hatten) sowie einer (4.) unglücklichen Kommunikationsstrategie des Ministeriums, ist Lorenz Caffier nun die Quadratur des Kreises misslungen.

Noch im September erhielt die taz auf die Frage hin, ob der Minister in der Vergangenheit Schießtrainings bei Frank T. absolviert respektive bei ihm eine Waffe erworben hatte, folgende kaltschnäuzige Antwort:

„Der Minister hat weder eine Dienstwaffe erhalten noch erworben und auch an keinen Schießtrainings teilgenommen.“ (sieh taz vom 14./15. Nov. 2020)

Christina Schmidt ließ indes nicht locker und hakte daraufhin im Oktober 2020 nach:

„Trifft es also zu, dass Herr Caffier als Privatperson eine Waffe bei oder über Frank T. bzw. der Firma „Baltic Shooters“ erworben hat?“

Das Ministerium antwortet kurz angebunden und unter Verfälschung der Tatsachen: „Auf Ihre Anfrage haben wir bereits geantwortet.“

Diese ministeriale Kommunikationskultur ist einer demokratischen Institution unwürdig: es werden (Schein)Antworten auf Fragen gegeben, die von der Presse gar nicht gestellt wurden. Es wird sich vor klaren Antworten gewunden, ja gedrückt. Es werden rhetorische Blendfeuer angefacht und auf Zeit gespielt. Es wird getrickst, relativiert, entkontextualisiert, verdrängt und vernebelt: Nach dem Erwerb einer „spezifischen Dienstwaffe durch den Minister oder Schießtrainings, die er in seiner Rolle als Behördenchef in MV absolviert haben mochte,“ hatte die Presse gar nicht gefragt. Das ist pure Verschleierungstaktik, das sind verwirrende sprachliche Figuren und von den eigentlichen Sachverhalten ablenkende rhetorische Figuren gewiefter Kommunikationsexperten, denen es nicht um Wahrheit oder Plausibilität geht, sondern deren einzige Aufgabe darin besteht, die weiße Weste ihres Chefs in der Öffentlichkeit strahlen zu lassen.      

Lange Jahre, 14 an der Zahl, hat Lorenz Caffier das Innenministerium geführt. Es zeigt sich auch im Kontext der Kommunikationsroutinen des Ministeriums im Arsenal Schwerins: In einer Demokratie ist es gut, wenn Ministerien regelmäßig neue Chefinnen und Chefs bekommen, damit altgediente Minister nicht schon als Quasi-Inventar in „ihren“ Behörde gelten mögen.   

Die Causa Caffier ist beispiellos in der jüngeren politischen Geschichte MVs – sowohl was die unstrittigen Verdienste des Ministers angeht als auch dann, wenn wir auf die Versäumnisse und Schattenseiten des ministerialen Apparates schauen. Bürgerliche Kommentatoren wie Spiegel-Journalist Gunther Latsch mögen den Abgang des Ministers bedauern und den LINKEN „unsägliche Unterstellungen“ vorwerfen. Fraglos ist der Sturm der Entrüstung, der durch den norddeutschen Blätterwald fegt, auch belastend für den ehemaligen Innenminister. Indes, letztgenannter ist durch sein Lavieren im Zusammenhang mit den Ereignissen des Nordkreuz-Komplexes am Ende selbst zu einer Belastung für die Regierung Schwesig geworden.        

 

Hintergrund:

Medienberichte zur Affäre um Waffenkauf: Caffiers Sicherheitsbehörden lagen doch schon vor dessen Pistolenerwerb 2018 Hinweise auf rechtsextreme Umtriebe Frank T.s vor 

„Es fragte sich mit Blick auf die Waffenaffäre des Innenministers in der Tat, ob er bewusst Hintergrundinformationen der Sicherheitsbehörden, von LKA und LfV, nicht sehen wollte, oder ob diese gar nicht erst bis ins ministerielle Büro durchgestellt wurden?!“, fragt verwundert Dr. Daniel Trepsdorf, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der LINKEN in der Stadtvertretung der Landeshauptstadt. „Beides ist ob der Brisanz der Sachlage nur schwer nachvollziehbar und würde ein problematisches Licht auf die innere Verfasstheit des Ministeriums werfen! Schließlich seien mehrere 10.000 Schuss Munition und diverse Waffen im Umfeld der rechtsextremen Nordkreuz-Doomer beiseitegeschafft worden. Der „TAG X“, jener gewaltsame Umsturz der staatlichen Ordnung, der bereits von US-Neonazi William L. Pierce in den „Turner Diaries“ (1978) beschrieben wurde, war auch von Demokratieverächtern und Menschenfeinden in MV vorbereitet worden. Dies sollte allen politisch Verantwortlichen entlang der Ostsee neun Jahre nach Selbstenttarnung des NSU ein deutliches Alarmsignal sein. Wie oft muss der Schuss von rechts eigentlich fallen,“, so Trepsdorf weiter, „bis deutsche Sicherheitsbehörden ebendiesen hören?!“  

Mutmaßlich spielte vor der Bühnenblende der Pistolenaffäre auch der vom Waffenhändler Frank T. betriebene Schießplatz „Baltic Shooters“ nahe Güstrow eine Rolle als Logistik- und Vernetzungszentrum der militanten Prepperszene in MV. Erst vor kurzem ist der Polizist Marko G. wegen illegalem Waffen- und Kriegswaffenbesitz zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt worden.

Dr. Trepsdorf berät hauptberuflich als Gemeinwesenberater und Demokratiepädagoge auch Betroffene, die unter Gewalt, Bedrohung und Militanz des rechtsextremen Flügels der hiesigen Prepperszene zu leiden haben. Das Team des Demokratiezentrums Westmecklenburg war in der Vergangenheit mehrfach von gewaltbereiten Neonazis unter Druck gesetzt worden. Auf den Todeslisten und in den Sammelordnern des Nordkreuz-Netzwerkes waren hunderte Engagierte Demokratieverstärker*innen und Organisationen akribisch aufgeführt worden. Der Terminus „Todesliste“ in diesem Zusammenhang ist übrigens keine „Panikmache“ der LINKEN. Der Begriff tauchte erstmalig auf einer Pressemeldung des Generalbundesanwaltes im Zusammenhang mit Razzien gegen rechtsextreme Prepper in MV im Sommer 2017 auf. Die Tageszeitung (taz) deckte auf, dass Akteure des Netzwerkes bereits Leichensäcke und Löschkalk bestellt hatten, die für politische Gegner entlang der Ostsee bestimmt gewesen waren. Das Innenministerium MV unterrichtete die evtl. Betroffenen als „Zeugen“ erst Jahre später über diesen Sachverhalt. Auch Politiker*innen und sozial Engagierte von LINKEN, GRÜNEN, SPD und CDU waren unter den Betroffenen. In versteckten, selbsterrichteten Bunkeranlagen und Vorratsdepots in den Wäldern MVs lagern Ausrüstungsgegenstände, Munition und Waffen für den „Tag X“.